Erbe des Tantalos


Tom Fuhrmann: Erbe des Tantalos

Gabi Kremeskötter

„Still ruht der See“ ist was anderes. Als Michael Grundmann aus dem Koma erwacht, ergreift ein
Strudel an Ereignissen sein wiedergewonnenes Leben. Er wurde Opfer eines brutalen Überfalls
im eigenen Haus, nur dank der ärztlichen Künste überhaupt noch am Leben. Wiedergeboren
mit dem Wissen, dass er nichts mehr weiß. Sämtliche Erinnerungen an seine Person, sein
früheres Leben durch episodische Amnesie verloren. Weiß weder, wer er ist, noch wer all die
Menschen sind, die ihn zu kennen meinen und sein Vertrauen einfordern. Allen voran Winnie, seinem vermeintlichen Freund seit Jugendzeiten, verdankt er Erinnerungsblitze, aus denen sich Michael nach und nach seine Vergangenheit neu konstruiert. Durch Winnie in Jugendzeiten in der Wuppertaler Punkszene gelandet. Durchzechte Nächte, Schlägereien, sein erstes Auto, ein roter Opel Kadett. Gitarrist der Band Subcanes, Drogen, Sex und Rock´n´Roll. Auf Druck seines Stiefvaters jedoch am Ende angepasster Sparkassenangestellter, Ehemann und Vater. Kaum hat er sich an sein Früher gewöhnt, stellen neue „alte“ Bekannte wieder Vieles in Frage. Franziska, seine
Frau, die soll er geliebt haben? Sie will die Scheidung. Sein durch den Übergriff entstelltes Gesicht scheint dafür weniger der Grund als Geldknappheit und verlorenes Image. Dann Vanessa, seine Tochter, der er als Einzige intuitive Liebe entgegenbringt, die sich jedoch nachweislich gar nicht als seine leibliche Tochter entpuppt. Michael bleibt nichts anderes übrig, als einer Lebenslüge nach der anderen ins Gesicht zu sehen.

Wie einst dem Tantalos, der, rettendes Wasser und Nahrung im Blick, weiter Hunger und Durst erleiden muss, öffnet sich ihm ein Graben nach dem anderen. Von wegen Sicherheit und Erholung im Krankenhaus. Selbst hier trachtet man ihm nach dem Leben, einen weiteren Angriff überlebt er nur durch eigene Geistesgegenwart.

Das muss ein Ende haben. Michael macht sich auf, die Fäden seines Lebens zu entwirren und
die Hintergründe aufzuklären. Die Polizei scheint unfähig dazu.
Jonny, ein weiterer sich Freund nennender Kumpan aus früheren Tagen, wird einziger Fluchtpunkt
und Helfer, als Michael nach erfolgreicher Reha das Krankenhaus verlässt. Vertrauen kann
er Jonny nicht, da dieser Winnie, seinem besten Freund, offenes Misstrauen entgegenbringt.
Doch bringen Jonnys Nachforschungen und Bekannte allerlei neue Ungereimtheiten an Winnies
Darstellungen der Vergangenheit ans Licht. So nimmt eine rasante Geschichte ihren Lauf, die
spannende Wendungen und am Ende eine höchst überraschende Aufklärung bereithält. Meint
der Leser, sämtliche Zusammenhänge verstanden zu haben, hat der Autor kurz vor Schluss noch
weitere Effekte parat. Erst auf der letzten Seite sind alle Rätsel gelöst.
Michael Grundberg wandelt sich vom Komapatienten zum kompromisslosen Verfolger seiner
Kontrahenten, macht auch vor einschlägigen Bekanntschaften in Mafiakreisen keinen Halt. Kehrt
zurück zu seinen jugendlichen Wurzeln als Punk, Songs wie „Peaches“ von „The Stranglers“
wecken Erinnerungen und bringen ihm sein früheres Lebensgefühl zurück. Michael pfeift auf
gesellschaftliche Reglementierungen, findet gerade durch die Grenzüberschreitung ins Illegale
letztendlich Gerechtigkeit.

Der vorliegende Roman ist Tom Fuhrmanns zweite Veröffentlichung, nur ein Jahr nach „Back
to Back“. Seine Sprache und der Schreibstil haben sich weiterentwickelt, die einzelnen Szenen
dadurch an Atmosphäre zugenommen. Auch in seinem zweiten Werk nutzt der Autor vielfach
Selbsterlebtes, was dem Stoff die nötige Authentizität und Tiefe verleiht. Er nimmt den Leser
mit in die Achtziger, und durch geschicktes Einweben von realen Tatsachen verknüpft er
Michael Grundbergs Leben mit der Zeitgeschichte. Wer Spaß an einer verrückten Story hat, die
jedoch durchaus vorstellbar genau so hätte geschehen können, dem sei dieses Buch auf den
Einkaufszettel geschrieben!

Tom Fuhrmann: Erbe des Tantalos
Broschiert: 209 Seiten.
Erschienen im Telescope Verlag im Februar 2015
ISBN: 978-3-941139-30-5
12€
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