Nice boys don't play rock'n'roll
Eine Mutmach-Geschichte? Wer mich kennt, denkt wohl, man könnte besser einem Pavian seine Steuererklärung durchsehen lassen, als mich um einen solchen Entwurf zu bitten. Aber nachdem ich Christa Goedes Geschichte gelesen habe, möchte ich vor allem die Unterschiede zu der Branche ausleuchten, in der ich seit 25 Jahren tätig bin. Die meiste Zeit davon tat ich das als Freiberufler, beziehungsweise "Selbständiger".Hier also mein Beitrag zur Blogparade. Viel Spaß!
Ich bin
Veranstaltungstechniker, selbständig, verheiratet und habe drei Kinder. Keine
Angst, ich neige nicht zum Selbstmord oder zur Autoaggression. Hätte ich vor 25
Jahren schon gewusst, wie mein Lebensumfeld heute, wo ich das
siebenundvierzigste Lebensjahr fast beendet habe, aussehen würde, oh
Mann, dann hätte ich einen anderen Weg eingeschlagen. Sicher? Nein, sicher nicht.
Manchmal arbeite ich zwanzig Stunden am Stück, manchmal mehr. Ich arbeite heute
in München, morgen in Travemünde, übermorgen in Barcelona. Heute beschalle ich
ein Konzert für Social Distortion in den Hamburger Docks, morgen
ist es ein ekelhafter Kardiologenkongress im Maritim, Hannover. Nach Abzug von
Steuern, Versicherungen und Pils Bier an der Hotelbar alles in allem schlecht
bezahlt, und oft weiß man am Ende eines Monats noch nicht, ob man genug
Aufträge im Folgemonat bekommt. Aber ich liebe es. Warum sollte ich also etwas
anderes machen?
Familie und
Wirtschaft sind sowieso wie Feuer und Eis, da spielt der Beruf keine Rolle.
Angestellte werden ebenso gekündigt, wenn es der Wirtschaft in den Kram passt,
wie auch Freiberufler ihre Aufträge verlieren, weil die Agentur, das
Management, oder der Provider Kosten sparen können. Es gibt immer jemanden, der
es für weniger Geld macht. Es existiert eh kein richtiger Weg, es gibt
nur Deinen Weg. Mein Weg führte mich über die Musik zum Beruf des
Tontechnikers. Ursprünglich wollte ich einmal Rockstar werden. Die Welt kann
wahrscheinlich froh sein, dass mir das nicht gelungen ist, aber letzten Endes
habe ich nur die Perspektive gewechselt: Von on stage zu backstage.
Dort fühle ich mich in gewisser Weise sogar wohler als im direkten Rampenlicht.
Das heißt nicht, dass ich schüchtern wäre. Eine gelungene Produktion macht mir
einfach Spaß und gibt mir ein entsprechendes Erfolgserlebnis. Wer nur an Geld
denkt bei seiner Arbeit, sollte etwas anderes machen.
Wodurch
unterscheiden sich Freiberufler voneinander, die nur ihre Arbeitskraft
einzusetzen haben?
Wie
entstehen Präferenzen, den einen zu buchen, den anderen zu ignorieren, obwohl
beide fachlich kompetent sind, zuverlässig und pünktlich, also voll
qualifiziert?
Gerade in
meiner Branche tummeln sich die schillerndsten Persönlichkeiten. Ich behaupte, nirgendwo
sonst hat man, was Outfit und kleine oder größere Macken betrifft, so viel
Freiheit, wobei sich bei der Kleidung schwarze Klamotten über die Jahre doch
sehr durchgesetzt haben. Ist auch praktischer. Man will ja nicht gesehen
werden, wenn man auf der Bühne herumturnt.
Als ich
damit anfing, gab es noch nicht den Lehrberuf des Veranstaltungstechnikers. Es
war der Wilde Westen, aber man war genau das, was man tat. Ein versemmeltes
Konzert wog schwerer als fünfzig perfekte Jobs. Meistens verlor der Auftraggeber
direkt den Kunden, wenn dieser nicht zufrieden war. Die Konkurrenz war und ist
groß. Diesem Druck sollte man gewachsen sein, auch heute noch. Heute gibt
es natürlich Strukturen und Vorschriften, Bildung ist halt ein Geschäft
geworden, kein Ideal. Hat Vorteile. Vor allem für die Akademien und
Versicherungsmakler. Auch für uns Techniker? Bestimmt. Mir fällt zwar ad hoc
kein Vorteil ein, aber das heißt nichts.
Zurück zu
unseren beiden Kandidaten für, sagen wir mal, eine Automobil-Präsentation auf
der IAA in Frankfurt. Aufbau und Abbau der Technik, Betreuung der Messe mit
Kundenkontakt, Abendveranstaltung im Sheraton, der ganze Kram. Wen wird man
buchen? Einen Anzug besitzen auch beide. Schwarz, versteht sich.
Eine
Freundin sagte mir, ohne Charisma nutzt Dir auch das Fachwissen nichts.
Charisma ist nicht das neue Baby der Ochsenknechts, sondern Deine Ausstrahlung.
Da ist was dran. Deine Persönlichkeit ist fraglos entscheidend für den
beruflichen Erfolg. Von der Diva bis zum absoluten Technik-Nerd sind auch in
meiner Branche alle Facetten vertreten. Es gibt den Theoretiker, der ewig
braucht, bis er zufrieden ist, aber auch den Praktiker, der viel schneller zum
gleichen Ergebnis kommt. Leute mit wenig Erfahrung stehen manchmal über Leuten,
die schon ewig in der Branche arbeiten. Hierarchien sind fließend. Die
Persönlichkeit entscheidet über alles. Persönlichkeit und Authentizität kann
man nicht fälschen oder instrumentalisieren. Die Persönlichkeit ist immer
präsent und sorgt für Ablehnung oder Sympathie. Bei Disponenten, die Dich
buchen, genauso wie bei Künstlern und Agenturen. Das ist dann auch nicht immer
nachvollziehbar, weshalb meiner Meinung nach oft die größten Vollidioten auf
Positionen landen, die man nie für zumutbar erachtet hätte. Auch bei uns in der
Branche landen gesunde Unternehmen durch Misswirtschaft in der Insolvenz, und
unsere Rechnungen werden dann nicht bezahlt. Oder von heute auf morgen wird
eine erfolgreiche Zusammenarbeit plötzlich unter fadenscheinigen Begründungen
beendet. Fump! Schon sitzt ein anderer auf Deinem Stuhl. Das musste ich selbst
noch kürzlich am eigenen Leib erfahren. Egal. Weitermachen. Don´t stop to rock.
Was muss man mitbringen, um als freier Veranstaltungstechniker nicht nur zu
überleben, sondern richtig steil zu gehen?
Im Gegensatz
zu manch anderer Branche, gibt es bei uns keinen Flughafen BER oder eine
Elbphilharmonie. Wenn der Wendler oder Pink oder wer auch immer in Oberhausen
oder am Hindukusch um 20:00 Uhr auftreten wollen, dann findet das genauso
statt. Merke: Wenn ein Konzert nicht pünktlich anfängt, liegt es nicht an den
Roadies oder Technikern. Show must go on, warum auch immer. Wenn die Messe
eröffnet wird, ist jeder Stand fertig. Bei Problemen werden Nachtschichten
eingerichtet, es wird improvisiert, umdisponiert, was auch immer. Alle ziehen
an einem Strang, egal welches Gewerk. Du musst also ein Teamplayer sein. Du
musst flexibel sein, keine "Pussy". Du triffst in so einer Arena in
der ersten halben Stunde Entscheidungen, die manchmal den Erfolg der ganzen
Veranstaltung beeinflussen. Die musst du dann auch vertreten können: Du
brauchst Selbstbewusstsein. Dafür kannst du dir auch Ecken und Kanten leisten,
die dich unverwechselbar machen. Du musst das leben, was du machst, und
der sein, der du bist. Das schafft Deinen Wiedererkennungswert. Also: Wo
ist der Haken?
Genau wie
die Wirtschaft, ist jede einzelne Branche stets im Wandel. Als Freiberufler tut
man sich keinen Gefallen, wenn man sich zu billig verkauft. Auch im ältesten
Gewerbe ist es angenehmer, ein Zimmer zu haben, als an der Straße zu stehen.
Wie sollst Du also deinen Tagessatz rechtfertigen? Mit Authentizität alleine
kommst du nicht mehr weiter heutzutage. Du solltest das sein, wofür du bezahlt
wirst: Ein Dienstleister. Nicht mehr und auch nicht weniger. Du wirst nicht
gebucht als eine "Ein Mann Show", keiner der Kollegen wird
schließlich dafür bezahlt, Rücksicht auf Deine Psyche zu nehmen. Diplomatie und
Anpassungsvermögen sind genauso wichtig, wie das Bestreben, sich weiter zu entwickeln.
Die Zeiten sind vorbei, als die Künstler noch den Techniker groß gemacht haben,
weil sie auf der Erfolgswelle die Bedingungen diktieren konnten. Dem Künstler
ist es heute fast egal, wer am Pult sitzt, solange alles funktioniert. Ich habe
auf Festivals schon unfassbare Sachen erlebt, die belegen, dass man besser den
Job bewerten sollte, als die Referenzen. Aber wenn die Band ihren tauben
Toningenieur seit 30 Jahren mitschleift, ist das ja auch irgendwie süß. Nicht
alle Künstler haben die Eier, so etwas zu garantieren. Hoffentlich geht es
Lemmy bald besser. ;-)
Überall geht
es schließlich um Menschen, und die machen Fehler, aus denen sie im günstigsten
Fall lernen. Im ungünstigsten Fall hängen sie Dir das an. (Siehe
Selbstbewusstsein)
"Bäh,
jetzt habe ich aber keine Lust mehr... Wo bleibt die Motivation?" höre ich
den einen oder anderen sagen. Die Regeln habe ich nicht gemacht. Aber alles
halb so wild. Wenn man den Finger am Puls der Zeit hat, und Weiterbildung
betreibt, teamfähig ist, und sich selbst nicht belügt, indem man vorgibt,
jemand zu sein, der man nicht ist, wird man an seinen Aufgaben wachsen. Dann
kommt der Erfolg von ganz alleine. Macht keinen Hehl daraus, wer ihr seid.
Opportunisten und Schleimer bekommen sowieso irgendwann die Quittung. Seid unbedingt
authentisch, aber bleibt immer fair. Nice boys don´t play rock´n´roll.
10 Kommentare:
Hallo Tom,
Im grunde genommen stimmt alles überein, das Alter, die Anzahl der Kinder, der Werdegang, auch ich bin seit über 27Jahren irgendwie dabei. Einziger Unterschied: ich bin vor fünf Jahren ans Theater gegangen. Entschieden habe ich mich damals für die Familie, aber auch die Frustration über die von Dir angesprochenen Dinge waren ein Auslöser. Die Wichtigkeit einer Entscheidung, die Gefahr bei dem nächsten Fehler zu fliegen ist geblieben, nur man ist jetzt ( bis auf die Abstecher) Heimschläfer. Im übrigen, die Stundenanzahl hat sich nur unwesentlich reduziert.... Kurz und gut: ich wollte beide Daumen hoch halten und sagen: weiter so, und dabei nicht vergessen, dass wir mit Menschen für Menschen arbeiten. Auch wenn es manchmal schwer fällt, die Contenance zu waren :-). Lieben Gruß vom Thomas aus Hannover
Bewa-h-ren! ja, das schreibt man nämlich so und nich anners, nä!?
Nochmals der Thomas
Ps.: ich las von einem Buch? Darf ich Interesse heucheln und näheres erfahren?
Hi Thomas,
vielen Dank für dein Statement. Geht runter wie Öl.
Hier der Link zu dem Buch:
http://www.amazon.de/Back-Tom-Fuhrmann/dp/3941139088/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1383830237&sr=1-1&keywords=tom+fuhrmann
Liebe Grüße
Tom
Danke.
Tja, da kann ich nur sagen: Hut ab! Genau getroffen, hervorragend geschrieben!
Hm, der Thomas aus H. Hat doch nicht etwa lange in B gewohnt? ;)
Frank aus Berlin, dieses Jahr 25-jähriges Berufsjubiläum
Danke Frank. Gehen schnell rum in unserem Job, die 25 Jahre. Und vieles bleibt zurück.
Perfekt beschrieben! Dem wäre nichts mehr hinzuzufügen! Ausser das mir auffällt, dass wir schon länger keinen Job mehr zusammen hatten! Wird mal wieder Zeit....!
Mach so weiter mein Bester! (Wo is eigentlich mein Buch?) ;)
Burn
Amen!!!
Klasse geschrieben, genau das habe ich als "Agentur-Fuzzi" an Euch Technikern immer geschätzt
danke
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